Die Schweiz und der Tabak: 20 Jahre sträfliche Untätigkeit
Pressemitteilung – Am 25. Juni 2003 unterzeichnete die Schweiz das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakkonsums (FCTC) und bekräftigte damit ihre Absicht, diesen Vertrag zum Schutz künftiger Generationen vor den schädlichen Auswirkungen des Tabakkonsums umzusetzen. Zwanzig Jahre später hat die Schweiz das Abkommen jedoch noch immer nicht ratifiziert, und die wichtigsten vom FCTC geforderten Massnahmen wurden nicht umgesetzt.
Bei der Unterzeichnung des FCTC betonte der Bundesrat in seiner Pressemitteilung „seinen politischen Willen, das WHO-Projekt auch in der Schweiz umzusetzen“ und seine Absicht, „in der Legislaturperiode 2003-2007“ eine Botschaft in diesem Sinne in die Vernehmlassung zu geben.1 Er erkannte an, dass die verschiedenen Maßnahmen des Vertrags „auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen“ und „darauf abzielen, das Angebot und die Nachfrage nach Tabakerzeugnissen zu regulieren, damit die Weltbevölkerung eine bessere Gesundheit genießt“.
Unzureichende Maßnahmen zur Tabakprävention
Heute, genau 20 Jahre nach dieser Unterzeichnung, ist die Schweiz eines der letzten Länder weltweit, das diesen internationalen Vertrag noch nicht ratifiziert hat. Keine der wichtigsten darin vorgesehenen Massnahmen wurde umgesetzt. Zwar hat unser Land 2008 ein Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen verabschiedet, doch hat das Parlament auf Druck der Tabakindustrie Ausnahmen vorgesehen, die es mit den Anforderungen des WHO-Übereinkommens unvereinbar machen. Was die Besteuerung von Zigaretten betrifft, eine weitere wichtige Massnahme des Übereinkommens, sind die Erhöhungsbefugnisse des Bundesrats seit 2013 ausgeschöpft. Die Preiserhöhungen für Zigaretten nach 2013 sind der Tabakindustrie zuzuschreiben und wurden vorgenommen, um ihre Gewinne zu steigern, ohne den Absatz zu beeinträchtigen. Schliesslich ist die Schweiz trotz eines neuen Tabakproduktgesetzes (Tabakgesetz, Tabag), das im Herbst 2024 in Kraft treten wird, noch weit davon entfernt, die Anforderungen des Übereinkommens hinsichtlich des Werbeverbots zu erfüllen, und alles deutet darauf hin, dass sie diese auch im Rahmen der laufenden Gesetzesrevision nach der Annahme der Volksinitiative "Kinder ohne Tabak"
Der Profit der Tabakindustrie geht vor der Gesundheit der Bevölkerung
Die 20 Jahre Untätigkeit der Schweizer Behörden lassen sich einfach erklären: durch die Einflussnahme der in unserem Land vertretenen multinationalen Tabakkonzerne. Laut einem internationalen Bericht aus dem Jahr 2023 «führt der erhebliche Einfluss der Tabakindustrie auf die Gesundheitspolitik in der Schweiz zu einem Teufelskreis, in dem die Interessen der Unternehmen Vorrang vor der öffentlichen Gesundheit haben».2 In diesem Bereich geben politische Entscheidungen den wirtschaftlichen Interessen der Tabakindustrie Vorrang vor dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung.3,4
Die Botschaft zur Initiative "Kinder ohne Tabak", die der Bundesrat im August 2020 an die eidgenössischen Räte überwiesen hat, wirft ein grelles Licht auf die Kluft zwischen der Schweizer Tabakpräventionspolitik und den Bestimmungen des WHO-Übereinkommens.5 In Artikel 5.3 verpflichtet das FCTC die Vertragsparteien, dafür zu sorgen, dass ihre Politik zur Eindämmung des Tabakkonsums nicht von der Tabakindustrie beeinflusst wird. Artikel 13 des Übereinkommens verlangt zudem ein umfassendes Verbot jeglicher Form von Tabakwerbung. In seiner Botschaft erklärt der Bundesrat, dass er die von den Initianten vorgeschlagenen Werbebeschränkungen ablehnt, weil er "ein gewisses Gleichgewicht zwischen den Interessen der Gesundheit und denen der Wirtschaft" wahren will, und bekräftigt "seinen Willen, die Werbung in einem für die Tabakindustrie akzeptablen Rahmen zu beschränken". Damit steht er sowohl dem Geist als auch dem Wortlaut des FCTC diametral entgegen.
Die Schweiz: der Aschenbecher Europas?
Angesichts des Scheiterns der Präventionsbemühungen in unserem Land stellt ein Leitartikel im British Medical Journaldie folgende Frage : “Ist die Schweiz der Aschenbecher Europas?“.6 Die Antwort auf diese Frage lautet leider "Ja!": Die Tabakkonzerne haben es geschafft, die Einführung notwendiger und wirksamer Präventionsmassnahmen in der Schweiz zu verzögern. Zwanzig Jahre lang hatten sie freie Hand, Tausende neuer Kunden, vor allem Minderjährige (schätzungsweise mehr als 20'000 pro Jahr), in die Sucht zu treiben. Ein Grossteil von ihnen wird ihr Leben lang abhängig bleiben, und letztendlich wird jeder Zweite vorzeitig an den Folgen des Tabakkonsums sterben und durchschnittlich 20 Jahre seines Lebens verlieren.
Eine schwerwiegende Verletzung der Verpflichtungen der Schweiz
OxySuisse sieht in dieser Situation eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechtsverpflichtungen der Schweiz. Mit Hilfe von Anwälten prüft der Verein alle Handlungsmöglichkeiten, um die Grundrechte der Einwohnerinnen und Einwohner unseres Landes zu verteidigen, die schon viel zu lange den Profiten der multinationalen Tabakkonzerne geopfert werden.
Referenzen :
1 https://www.admin.ch/gov/fr/accueil/documentation/communiques.msg-id-3827.html
2 https://globaltobaccoindex.org/fr/download/1724
3 Diethelm P. How the tobacco industry undermines public health policy in Switzerland. Sted. 2019; 28:26–31,
4 https://www.uicc.org/blog/tobacco-control-switzerland-two-decades-behind
5 https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2020/1895/fr
6 https://tobaccocontrol.bmj.com/content/28/5/479
Andere Aktualitäten
OxySuisse auf M Le Média zum Thema „Sponsoring und Philanthropie“

Die eigennützige Großzügigkeit der Tabakindustrie in der Schweiz

Eine Ohrfeige für die Menschenrechte

Social media: neues Betätigungsfeld für die Tabakindustrie

Wissenschaft für Profit an der Universität Zürich ?

Die neuen Fallen der Nikotinindustrie

Greenwashing : Wenn der Raucher der einzige Umweltverschmutzer zu sein scheint

Der Fall Rylander: Ein Professor der Universität Genf im Dienste von Philip Morris
